Unger Ulrich
2003-11-02 00:00:00 UTC
x-no-archive: yes
Donnerstagskreis
Dichtung und Wahrheit -Nr.5
Die Wahrheit ist das Ganze - J.W.G. Hegel
Lug und Trug statt Wahrheit und Klarheit
Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe
A. Der Weg in die Privatisierung
Am 29.10.1999 machte das Abgeordnetenhaus von Berlin einen gefaehrlichen
Weg frei:
Die damalige Finanzsenatorin Anette Fugmann-Heesing unterzeichnete wenige
Minuten nach der Abstimmung einer "Resolution" im Parlament einen Vertrag
zwischen dem Land Berlin und einem Bieterkonsortium. RWE, Allianz und der
franzoesische Konzern Vivendi erwarben dadurch einen Anteil von 49,9 % an
den Berliner Wasserbetrieben. Schon damals haben auch Parlamentarierinnen
und Parlamentarier der Regierungsfraktionen CDU und SPD mit der Opposition
aus PDS und Gruenen gegen diese Resolution gestimmt. Da mit dem Vertrag auch
die Geschaeftsfuehrung in die Haende der Privaten gegeben wurde, erschien
ihnen das Risiko fuer die Kunden - alle Berlinerinnen und Berliner - zu gross.
Die Mehrheit der SPD glaubte dagegen den Versprechungen ihres Fraktions-
versitzenden Klaus Boeger und den Zusicherungen ihrer Finanzsenatorin
Anette Fugmann-Heesing. Sie vertrauten darauf, dass der Senat auch im
Vertrag mit den Privaten die Bedingungen erfuellen wuerde, unter denen
der Verfassungsgerichtshof die Teilprivatisierung der Berliner Wasser-
betriebe gestattete.
Die nachfolgende Gegenueberstellung zeigt an Beispielen auf, wie die
Abgeordneten damals getaeuscht wurden.
Wer 1999 zustimmte, der koennte sich heute darauf berufen, hintergangen
worden zu sein. Wer jetzt einer Aenderung des Teilprivatisierungsgesetzes
zustimmt, die zu Lasten Berlins und seiner Bevoelkerung die Rendite der
Privaten erhoeht, muss wissen, dass er das Volk betruegt.
B. Was Anette Fugmann-Heesing und Klaus Boeger versprachen:
Anette Fugmann-Heesing hatte einen Tag vor der Abstimmung und Vertrags-
unterzeichnung in der SPD-Fraktion - als Tischvorlage - ein "Argumen-
tationspapier" verteilt. Damit wollte sie Bedenken zerstreuen.
Eine Woche zuvor hatte naemlich der Verfassungsgerichtshof Berlin Teile
des Gesetzes fuer verfassungswidrig erklaert, andere nur dann fuer
verfassungsgemaess, wenn bestimmte Bedingungen erfuellt wuerden. Ob diese
Bedingungen in dem (Konsortial-) Vertrag, den Anette Fugmann-Heesing
unterzeichnete, tatsaechlich erfuellt waren, konnten die Mitglieder des
Parlaments nicht wissen. Viele wollten glauben, was man ihnen versprach.
1. Behauptung
Der Verfassungsgerichtshof, sagte Anette Fugmann-Heesing, habe das Gesetz
in allen wesentlichen Punkten fuer verfassungsgemaess erklaert. Das Gericht
habe "eindeutig bestaetigt, dass die gewaehlte Konstruktion dem Demokratie-
gebot - wirksame Kontrolle durch die oeffentliche Hand - entspricht".
Aehnlich aeusserte sich Klaus Boeger im Parlament - nur nicht so deutlich.
- und die Wahrheit
Dies ist nur die halbe Wahrheit. Das Gericht hat von den wesentlichen
Passagen des Gesetzes gesagt, sie koennten verfassungsgemaess ausgelegt
werden.
Teilweise wurden die Bedingungen erlaeutert, unter denen das Gesetz
(gerade noch) als verfassungsgemaess bezeichnet werden koenne. Ob diese
Bedingungen im Konsortialvertrag erfuellt sind, konnte vor seiner
Unterzeichnung kein Abgeordneter ueberpruefen. Bis heute ist diese Frage
entgegen den Versprechungen von Klaus Boeger, dies noch 1999 zu veranlassen,
nicht geklaert.
2. Behauptung
Den Vorwurf der Opposition, durch die Teilprivatisierung werde eine Beute-
gemeinschaft zwischen Senat und privaten Investoren auf dem Ruecken der
BerlinerInnen gebildet, wies Anette Fugmann-Heesing als falsch zurueck.
Durch die Teilprivatisierung wuerden auf mittlere Sicht die Gebuehren sogar
sinken, sodass von einer Last der Buerger gar keine Rede sein koenne.
- und die Wahrheit
Warum der Vorwurf der gemeinsamen Interessenlage von Privaten und Senat
gegenueber den Nutzern falsch sei, wurde von der Senatorin nicht begruendet.
Das konnte sie auch nicht. Da die Beteiligung von Privaten an oeffentlichen
Betrieben die sonst unzulaessige Gewinnerzielungsabsicht vertraglich
festschreibt, sitzt der Senat, der 50% der Gewinne einstreicht, zwangs-
laeufig mit den Privaten in einem Boot, wenn es darum geht, Gewinne
durch Gebuehrenerhoehungen zu erzielen.
Dass diese "notwendige Gemeinschaft" auch eine "Beutegemeinschaft zu
Lasten der Gebuehrenzahler" werden wuerde, war damals bereits absehbar.
Nun wird dies zur Gewissheit:
Die Preise sollen fuer die Verbraucher zum 1.1.2004 um 15 % steigen.
Weitere dauerhafte Erhoehungen wurden sowohl vom Senat als auch den
Privaten angekuendigt.
Dabei gelingt es nur durch einen Trick. die Erhoehung der Gebuehren nicht
noch viel hoeher ausfallen zu lassen:
Eigentlich erfordert es der den Privaten im Konsortialvertrag garantierte
Gewinn, die Gebuehren um 30% anzuheben. Wenn man diese Erhoehung zuliesse,
dann wuerde freilich auch dem letzten Berliner klar, das Privatisierungen
zu drastischen Preissteigerungen fuehren.
Um diesen Effekt, der weitere Verkaeufe noch unpopulaerer machen wuerde, zu
vermeiden, beschreitet Senator Wolf einen verschleiernden Weg:
Der Senat verzichtet auf einen Grossteil der dem Staat zustehenden Konzes-
sionsabgabe der Wasserbetriebe. Ab 2003 sollten die Wasserbetriebe
naemlich 68 Millionen E an den Berliner Haushalt zahlen. Jetzt wird darauf
in Hoehe von mindestens 53 Millionen E pro Jahr verzichtet, die damit im
Haushalt fehlen.
Klartext: Auch diesen Teil des Gewinns der Privaten zahlen die Berliner -
und zwar die Aermsten. Die naemlich werden durch die Kuerzung der sozialen
Ausgaben diesen Betrag "bezahlen".
In Wahrheit betraegt die Gebuehrenerhoehung also 30 %!
Darueber, dass ein Senat, der von SPD und PDS getragen wird, sich dazu
versteht, die Folgen der Privatisierung zu verschleiern und dies die
Aermsten buessen laesst, mag sich jeder seine Gedanken machen. Es ist auch
bedenklich, wenn selbst SPD und PDS sich scheuen, der Bevoelkerung reinen
Wein ueber die Folgen kapitalistischer Monopolwirtschaft einzuschenken.
3. Behauptung
10 % des Verkaufserloeses werden "unverzueglich" einem Zukunftsfonds zu-
gefuehrt, um damit "die Entwicklung innovativer Wachstumsfelder in
Wissenschaft und Technologie zu foerdern."
- und die Wahrheit
Dieser Zukunftsfonds, der noch in der Koalitionsvereinbarung zwischen
SPD und CDU fuer die Legislaturperiode 1999 bis 2004 festgeschrieben wurde,
ist im Bermudadreieck des durch den Bankenskandal verursachten Fiaskos
der Berliner Haushaltspolitik verschollen.
4. Behauptung
Der Vorwurf der Opposition, das Land trage die vollen finanziellen Risiken
und muesse fuer 28 Jahre die Gewinnansprueche abtreten und einen Ausgleich
zahlen, sei falsch. Im Gegenteil wuerde die Wettbewerbsfaehigkeit und die
Effizienz der Wasserbetriebe steigen, die Wasserpreise werden langfristig
sinken, Arbeitsplaetze im Unternehmen gesichert und neue geschaffen.
- und die Wahrheit
Ueber die langfristig sinkenden Wasserpreise ist oben das Erforderliche
gesagt. lnsgesamt gingen ueber 2000 Arbeitsplaetze bei den Wasserbetrieben
und weitere 8.000 bei den Zulieferern verloren. Die Instandhaltungskosten
fuer Wasserversorgung und Entwaesserung wurden von jaehrlich 500.000.000 E
auf 360.000.000 E heruntergefahren. Und nun verzichtet der Senat auf die
Konzessionsabgabe und zahlt damit den von der damaligen Opposition bereits
befuerchteten Ausgleich aus den oeffentlichen Kassen.
5. Behauptung
Die durch das Urteil des Verfassungsgerichts angeblich erforderlichen
Aendemngen des Teilprivatisiemngsgesetzes wuerden "zur Zeit" (das war
der 28.10.1999 ) vorbereitet und unverzueglich eingebracht.
- und die Wahrheit
Die Aenderung des Teilprivatisierungsgesetzes wurde ueberhaupt nicht vor-
bereitet. Sie war - und ist - auch gar nicht erforderlich. Das hat die
Normenpruefungskommission des Senats ausdruecklich bestaetigt.
Da man aber den Investoren (viel zu) viel versprochen hatte, soll nun
doch die Aenderung her. Die enthaelt Sprengstoff. Und da haelt man es fuer
sicherer, dass sich Abgeordnete nicht zu viele Gedanken machen koennen.
Deshalb hat man sich vier Jahre Zeit gelassen und auch dann, als die
Vorlage laengst fertig und durch Presseerklaerungen bereits angekuendigt war,
hielt man sie zurueck. So teilten die Wasserbetriebe ihren Mitarbeitern
bereits am 16.09.2003 mit, man habe sich mit dem Senat geeinigt. Nun
muesse "der Gesetzentwurf noch vom Abgeordnetenhaus gebilligt werden".
Widerstand wird nicht erwartet!
Erst einen Monat spaeter, in den Herbstferien - und nur auf Druck des
Donnerstagskreises - schickt die SPD - Fraktion ihren Mitgliedern die
Vorlage des Senats. Ende Oktober wird darueber erstmals in der Fraktion
gesprochen, Ende November soll das Gesetz beschlossen sein.
Da die Klaerung komplizierter rechtlicher und wirtschaftlicher Fragen
viel laenger dauert, ist klar:
Das Parlament soll ueberfahren werden.
6. Behauptung
Durch die Teilprivatisierung verliert das Land Berlin keinen Einfluss
und keine Verantwortung.
- und die Wahrheit
Durch die Teilprivatisierung verzichtet das Land auf die Geschaeftsfuehrung.
Das ist sogar Ziel dieser Teilprivatisierung gewesen. Den Privaten traute
man effektiveres Wirtschaften zu. Ein boeser Irrtum. Seit der Aufdeckung
des Bankenskandals wissen wir, dass mit der Aufgabe der Geschaeftsfuehrung
jede wirksame Kontrolle aus der Hand gegeben wird. Den Beweis dafuer haben
die (teil-) privatisierten Wasserbetriebe auch sofort geliefert: Schon
ein Jahr nach dem Erwerb folgt, was wie ein Ganovenstueck anmutet: Mit
Bilanzkosmetik, mit dem geheimnisvollen US-Investor "Global Energy",
dessen Engagement zum Kauf des SVZ "Schwarze Pumpe" sich alsbald in Luft
aufloest, erreichte man enorme Gewinnausschuettungen, obgleich kein Gewinn
erzielt wurde. Das Geld war naemlich nicht geflossen. Das Cayman-Geschaeft
zum Verkauf der IBAG im gleichen Jahr laesst gruessen.
Es ist zu hoffen, dass ein solches Geschaeftsgebaren nicht auf den
"unverminderten Einfluss" des Landes Berlin zurueckzufuehren ist.
Durch den Konsortialvertrag wird der Rest an wirklichem Einfluss aufge-
geben. Dieser von Anette Fugmann-Heesing unterschriebene Vertrag,
garantiert den Privaten einen (verfassungswidrigen) Gewinn, der unabhaengig
von der geschaeftlichen Entwicklung zu zahlen ist.
Dadurch entsteht eine Zwangslage:
Entweder macht der Senat (und das Abgeordnetenhaus) alles mit, was die
Gewinne auf Kosten der Gebuehrenzahler erhoeht, oder aber der Haushalt
muss einspringen.
Beides ist jetzt bittere Realitaet: Die Preise steigen um 15 % und der
Haushalt verzichtet auf mindestens 50 Millionen E jaehrlich - wahrschein-
lich sehr viel mehr.
Fuer die "lnvestoren" ist alles zum Besten: Ihr eingebrachtes Kapital
verzinst sich - so die Untersuchungen des Verbandes Berlin-Branden-
burgischer Wohnungsuntemehmen - mit 20 %. Es ist klar, was dies fuer
die Wasserbetriebe bedeutet - und damit fuer den Berliner Haushalt.
Wenn das Land die Wasserbetriebe nicht verkauft haette und die 1,58
Milliarden E als Kredit ueber 27 Jahre aufgenommen haette, dann muessten
jaehrlich 100 Millionen E (incl. Tilgung) an die Banken gezahlt werden.
Welch ein gutes Geschaeft waere das gewesen - im Vergleich zu dieser
Veraeusserung:
Das Land Berlin verzichtet auf 50% des Gewinns und auf 50 Millionen E
Konzessionsabgabe, erhaelt weniger Steuern, der Berliner Mittelstand
erhaelt weniger Auftraege, die Lohnsteuer aus abgebauten Arbeitsplaetzen
fehlt, die Sozialhilfe und das Wohngeld steigen - und wenn der Gewinn
des Betriebs noch wie geplant "disproportional" verteilt wird, dann
verzichtet das Land auf weitere zweistellige Millionenbetraege.
7. Behauptung
Der Teilverkauf der Wasserbetrlebe, des groessten kommunalen Wasser-
versorgungs- und Abwasserentsorgungsuntemehmens in Europa, wurde damit
begruendet, dass dieser Berliner Betrieb ueber ein "Know-how" verfuege,
das - durch einen Privaten vermarktet - bis nach China strahlen wuerde.
Berlin - so das Versprechen - sollte internationales Zentrum der Wasser-
wirtschaft werden.
- und die Wahrheit
Nachdem alle ueberregionalen Projekte in den Sand gesetzt worden sind,
erklaert der Vorstand Frank Bruckmann heute:
"Die BerlinwasserGruppe vollzieht gegenwaertig die konsequente Ausrichtung
auf das Kerngeschaeft. Zum anderen haben wir durch den Verkauf von Unter-
nehmen die Bereinigung des Wettbewerbsgeschaefts bereits eingeleitet."
Aber auch von einem Kompetenzzentrum "Wasserwirtschaft" ist nichts uebrig
geblieben. Ganze 7 (in Worten: sieben) Mitarbeiter arbeiten in diesem
"Zentrum".
Fazit:
Das Abgeordnetenhaus hat seine Beschluesse in blindem Vertrauen auf
Anette Fugmann-Heesing und Klaus Boeger gefaellt.
Es ist bewusst getaeuscht worden.
Anette Fugmann-Heesing wusste, was sie vereinbarte. Sie musste erkennen,
dass sie ein fuer die Stadt verantwortungslos schlechtes Geschaeft abschloss.
Sie wusste, dass es viel besser waere, einen Kredit aufzunehmen und damit
den Schaden fuer das Land Berlin auf ein Minimum zu reduzieren.
Es ging nicht um Haushaltskonsolidierung. Es ging nicht um "Ueberbrueckung
einer Durstphase bis zur Konsolidierung" des Haushalts.
Es ging ausschliesslich um Privatisierung um jeden Preis. Die SPD bezahlt
dies mit dem Verlust der Glaubwuerdigkeit.
Berlin, den 20.10.2003
Gerlinde Schermer - Dr. Constanze Kube - H.-G. Lorenz
Donnerstagskreis
Dichtung und Wahrheit -Nr.5
Die Wahrheit ist das Ganze - J.W.G. Hegel
Lug und Trug statt Wahrheit und Klarheit
Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe
A. Der Weg in die Privatisierung
Am 29.10.1999 machte das Abgeordnetenhaus von Berlin einen gefaehrlichen
Weg frei:
Die damalige Finanzsenatorin Anette Fugmann-Heesing unterzeichnete wenige
Minuten nach der Abstimmung einer "Resolution" im Parlament einen Vertrag
zwischen dem Land Berlin und einem Bieterkonsortium. RWE, Allianz und der
franzoesische Konzern Vivendi erwarben dadurch einen Anteil von 49,9 % an
den Berliner Wasserbetrieben. Schon damals haben auch Parlamentarierinnen
und Parlamentarier der Regierungsfraktionen CDU und SPD mit der Opposition
aus PDS und Gruenen gegen diese Resolution gestimmt. Da mit dem Vertrag auch
die Geschaeftsfuehrung in die Haende der Privaten gegeben wurde, erschien
ihnen das Risiko fuer die Kunden - alle Berlinerinnen und Berliner - zu gross.
Die Mehrheit der SPD glaubte dagegen den Versprechungen ihres Fraktions-
versitzenden Klaus Boeger und den Zusicherungen ihrer Finanzsenatorin
Anette Fugmann-Heesing. Sie vertrauten darauf, dass der Senat auch im
Vertrag mit den Privaten die Bedingungen erfuellen wuerde, unter denen
der Verfassungsgerichtshof die Teilprivatisierung der Berliner Wasser-
betriebe gestattete.
Die nachfolgende Gegenueberstellung zeigt an Beispielen auf, wie die
Abgeordneten damals getaeuscht wurden.
Wer 1999 zustimmte, der koennte sich heute darauf berufen, hintergangen
worden zu sein. Wer jetzt einer Aenderung des Teilprivatisierungsgesetzes
zustimmt, die zu Lasten Berlins und seiner Bevoelkerung die Rendite der
Privaten erhoeht, muss wissen, dass er das Volk betruegt.
B. Was Anette Fugmann-Heesing und Klaus Boeger versprachen:
Anette Fugmann-Heesing hatte einen Tag vor der Abstimmung und Vertrags-
unterzeichnung in der SPD-Fraktion - als Tischvorlage - ein "Argumen-
tationspapier" verteilt. Damit wollte sie Bedenken zerstreuen.
Eine Woche zuvor hatte naemlich der Verfassungsgerichtshof Berlin Teile
des Gesetzes fuer verfassungswidrig erklaert, andere nur dann fuer
verfassungsgemaess, wenn bestimmte Bedingungen erfuellt wuerden. Ob diese
Bedingungen in dem (Konsortial-) Vertrag, den Anette Fugmann-Heesing
unterzeichnete, tatsaechlich erfuellt waren, konnten die Mitglieder des
Parlaments nicht wissen. Viele wollten glauben, was man ihnen versprach.
1. Behauptung
Der Verfassungsgerichtshof, sagte Anette Fugmann-Heesing, habe das Gesetz
in allen wesentlichen Punkten fuer verfassungsgemaess erklaert. Das Gericht
habe "eindeutig bestaetigt, dass die gewaehlte Konstruktion dem Demokratie-
gebot - wirksame Kontrolle durch die oeffentliche Hand - entspricht".
Aehnlich aeusserte sich Klaus Boeger im Parlament - nur nicht so deutlich.
- und die Wahrheit
Dies ist nur die halbe Wahrheit. Das Gericht hat von den wesentlichen
Passagen des Gesetzes gesagt, sie koennten verfassungsgemaess ausgelegt
werden.
Teilweise wurden die Bedingungen erlaeutert, unter denen das Gesetz
(gerade noch) als verfassungsgemaess bezeichnet werden koenne. Ob diese
Bedingungen im Konsortialvertrag erfuellt sind, konnte vor seiner
Unterzeichnung kein Abgeordneter ueberpruefen. Bis heute ist diese Frage
entgegen den Versprechungen von Klaus Boeger, dies noch 1999 zu veranlassen,
nicht geklaert.
2. Behauptung
Den Vorwurf der Opposition, durch die Teilprivatisierung werde eine Beute-
gemeinschaft zwischen Senat und privaten Investoren auf dem Ruecken der
BerlinerInnen gebildet, wies Anette Fugmann-Heesing als falsch zurueck.
Durch die Teilprivatisierung wuerden auf mittlere Sicht die Gebuehren sogar
sinken, sodass von einer Last der Buerger gar keine Rede sein koenne.
- und die Wahrheit
Warum der Vorwurf der gemeinsamen Interessenlage von Privaten und Senat
gegenueber den Nutzern falsch sei, wurde von der Senatorin nicht begruendet.
Das konnte sie auch nicht. Da die Beteiligung von Privaten an oeffentlichen
Betrieben die sonst unzulaessige Gewinnerzielungsabsicht vertraglich
festschreibt, sitzt der Senat, der 50% der Gewinne einstreicht, zwangs-
laeufig mit den Privaten in einem Boot, wenn es darum geht, Gewinne
durch Gebuehrenerhoehungen zu erzielen.
Dass diese "notwendige Gemeinschaft" auch eine "Beutegemeinschaft zu
Lasten der Gebuehrenzahler" werden wuerde, war damals bereits absehbar.
Nun wird dies zur Gewissheit:
Die Preise sollen fuer die Verbraucher zum 1.1.2004 um 15 % steigen.
Weitere dauerhafte Erhoehungen wurden sowohl vom Senat als auch den
Privaten angekuendigt.
Dabei gelingt es nur durch einen Trick. die Erhoehung der Gebuehren nicht
noch viel hoeher ausfallen zu lassen:
Eigentlich erfordert es der den Privaten im Konsortialvertrag garantierte
Gewinn, die Gebuehren um 30% anzuheben. Wenn man diese Erhoehung zuliesse,
dann wuerde freilich auch dem letzten Berliner klar, das Privatisierungen
zu drastischen Preissteigerungen fuehren.
Um diesen Effekt, der weitere Verkaeufe noch unpopulaerer machen wuerde, zu
vermeiden, beschreitet Senator Wolf einen verschleiernden Weg:
Der Senat verzichtet auf einen Grossteil der dem Staat zustehenden Konzes-
sionsabgabe der Wasserbetriebe. Ab 2003 sollten die Wasserbetriebe
naemlich 68 Millionen E an den Berliner Haushalt zahlen. Jetzt wird darauf
in Hoehe von mindestens 53 Millionen E pro Jahr verzichtet, die damit im
Haushalt fehlen.
Klartext: Auch diesen Teil des Gewinns der Privaten zahlen die Berliner -
und zwar die Aermsten. Die naemlich werden durch die Kuerzung der sozialen
Ausgaben diesen Betrag "bezahlen".
In Wahrheit betraegt die Gebuehrenerhoehung also 30 %!
Darueber, dass ein Senat, der von SPD und PDS getragen wird, sich dazu
versteht, die Folgen der Privatisierung zu verschleiern und dies die
Aermsten buessen laesst, mag sich jeder seine Gedanken machen. Es ist auch
bedenklich, wenn selbst SPD und PDS sich scheuen, der Bevoelkerung reinen
Wein ueber die Folgen kapitalistischer Monopolwirtschaft einzuschenken.
3. Behauptung
10 % des Verkaufserloeses werden "unverzueglich" einem Zukunftsfonds zu-
gefuehrt, um damit "die Entwicklung innovativer Wachstumsfelder in
Wissenschaft und Technologie zu foerdern."
- und die Wahrheit
Dieser Zukunftsfonds, der noch in der Koalitionsvereinbarung zwischen
SPD und CDU fuer die Legislaturperiode 1999 bis 2004 festgeschrieben wurde,
ist im Bermudadreieck des durch den Bankenskandal verursachten Fiaskos
der Berliner Haushaltspolitik verschollen.
4. Behauptung
Der Vorwurf der Opposition, das Land trage die vollen finanziellen Risiken
und muesse fuer 28 Jahre die Gewinnansprueche abtreten und einen Ausgleich
zahlen, sei falsch. Im Gegenteil wuerde die Wettbewerbsfaehigkeit und die
Effizienz der Wasserbetriebe steigen, die Wasserpreise werden langfristig
sinken, Arbeitsplaetze im Unternehmen gesichert und neue geschaffen.
- und die Wahrheit
Ueber die langfristig sinkenden Wasserpreise ist oben das Erforderliche
gesagt. lnsgesamt gingen ueber 2000 Arbeitsplaetze bei den Wasserbetrieben
und weitere 8.000 bei den Zulieferern verloren. Die Instandhaltungskosten
fuer Wasserversorgung und Entwaesserung wurden von jaehrlich 500.000.000 E
auf 360.000.000 E heruntergefahren. Und nun verzichtet der Senat auf die
Konzessionsabgabe und zahlt damit den von der damaligen Opposition bereits
befuerchteten Ausgleich aus den oeffentlichen Kassen.
5. Behauptung
Die durch das Urteil des Verfassungsgerichts angeblich erforderlichen
Aendemngen des Teilprivatisiemngsgesetzes wuerden "zur Zeit" (das war
der 28.10.1999 ) vorbereitet und unverzueglich eingebracht.
- und die Wahrheit
Die Aenderung des Teilprivatisierungsgesetzes wurde ueberhaupt nicht vor-
bereitet. Sie war - und ist - auch gar nicht erforderlich. Das hat die
Normenpruefungskommission des Senats ausdruecklich bestaetigt.
Da man aber den Investoren (viel zu) viel versprochen hatte, soll nun
doch die Aenderung her. Die enthaelt Sprengstoff. Und da haelt man es fuer
sicherer, dass sich Abgeordnete nicht zu viele Gedanken machen koennen.
Deshalb hat man sich vier Jahre Zeit gelassen und auch dann, als die
Vorlage laengst fertig und durch Presseerklaerungen bereits angekuendigt war,
hielt man sie zurueck. So teilten die Wasserbetriebe ihren Mitarbeitern
bereits am 16.09.2003 mit, man habe sich mit dem Senat geeinigt. Nun
muesse "der Gesetzentwurf noch vom Abgeordnetenhaus gebilligt werden".
Widerstand wird nicht erwartet!
Erst einen Monat spaeter, in den Herbstferien - und nur auf Druck des
Donnerstagskreises - schickt die SPD - Fraktion ihren Mitgliedern die
Vorlage des Senats. Ende Oktober wird darueber erstmals in der Fraktion
gesprochen, Ende November soll das Gesetz beschlossen sein.
Da die Klaerung komplizierter rechtlicher und wirtschaftlicher Fragen
viel laenger dauert, ist klar:
Das Parlament soll ueberfahren werden.
6. Behauptung
Durch die Teilprivatisierung verliert das Land Berlin keinen Einfluss
und keine Verantwortung.
- und die Wahrheit
Durch die Teilprivatisierung verzichtet das Land auf die Geschaeftsfuehrung.
Das ist sogar Ziel dieser Teilprivatisierung gewesen. Den Privaten traute
man effektiveres Wirtschaften zu. Ein boeser Irrtum. Seit der Aufdeckung
des Bankenskandals wissen wir, dass mit der Aufgabe der Geschaeftsfuehrung
jede wirksame Kontrolle aus der Hand gegeben wird. Den Beweis dafuer haben
die (teil-) privatisierten Wasserbetriebe auch sofort geliefert: Schon
ein Jahr nach dem Erwerb folgt, was wie ein Ganovenstueck anmutet: Mit
Bilanzkosmetik, mit dem geheimnisvollen US-Investor "Global Energy",
dessen Engagement zum Kauf des SVZ "Schwarze Pumpe" sich alsbald in Luft
aufloest, erreichte man enorme Gewinnausschuettungen, obgleich kein Gewinn
erzielt wurde. Das Geld war naemlich nicht geflossen. Das Cayman-Geschaeft
zum Verkauf der IBAG im gleichen Jahr laesst gruessen.
Es ist zu hoffen, dass ein solches Geschaeftsgebaren nicht auf den
"unverminderten Einfluss" des Landes Berlin zurueckzufuehren ist.
Durch den Konsortialvertrag wird der Rest an wirklichem Einfluss aufge-
geben. Dieser von Anette Fugmann-Heesing unterschriebene Vertrag,
garantiert den Privaten einen (verfassungswidrigen) Gewinn, der unabhaengig
von der geschaeftlichen Entwicklung zu zahlen ist.
Dadurch entsteht eine Zwangslage:
Entweder macht der Senat (und das Abgeordnetenhaus) alles mit, was die
Gewinne auf Kosten der Gebuehrenzahler erhoeht, oder aber der Haushalt
muss einspringen.
Beides ist jetzt bittere Realitaet: Die Preise steigen um 15 % und der
Haushalt verzichtet auf mindestens 50 Millionen E jaehrlich - wahrschein-
lich sehr viel mehr.
Fuer die "lnvestoren" ist alles zum Besten: Ihr eingebrachtes Kapital
verzinst sich - so die Untersuchungen des Verbandes Berlin-Branden-
burgischer Wohnungsuntemehmen - mit 20 %. Es ist klar, was dies fuer
die Wasserbetriebe bedeutet - und damit fuer den Berliner Haushalt.
Wenn das Land die Wasserbetriebe nicht verkauft haette und die 1,58
Milliarden E als Kredit ueber 27 Jahre aufgenommen haette, dann muessten
jaehrlich 100 Millionen E (incl. Tilgung) an die Banken gezahlt werden.
Welch ein gutes Geschaeft waere das gewesen - im Vergleich zu dieser
Veraeusserung:
Das Land Berlin verzichtet auf 50% des Gewinns und auf 50 Millionen E
Konzessionsabgabe, erhaelt weniger Steuern, der Berliner Mittelstand
erhaelt weniger Auftraege, die Lohnsteuer aus abgebauten Arbeitsplaetzen
fehlt, die Sozialhilfe und das Wohngeld steigen - und wenn der Gewinn
des Betriebs noch wie geplant "disproportional" verteilt wird, dann
verzichtet das Land auf weitere zweistellige Millionenbetraege.
7. Behauptung
Der Teilverkauf der Wasserbetrlebe, des groessten kommunalen Wasser-
versorgungs- und Abwasserentsorgungsuntemehmens in Europa, wurde damit
begruendet, dass dieser Berliner Betrieb ueber ein "Know-how" verfuege,
das - durch einen Privaten vermarktet - bis nach China strahlen wuerde.
Berlin - so das Versprechen - sollte internationales Zentrum der Wasser-
wirtschaft werden.
- und die Wahrheit
Nachdem alle ueberregionalen Projekte in den Sand gesetzt worden sind,
erklaert der Vorstand Frank Bruckmann heute:
"Die BerlinwasserGruppe vollzieht gegenwaertig die konsequente Ausrichtung
auf das Kerngeschaeft. Zum anderen haben wir durch den Verkauf von Unter-
nehmen die Bereinigung des Wettbewerbsgeschaefts bereits eingeleitet."
Aber auch von einem Kompetenzzentrum "Wasserwirtschaft" ist nichts uebrig
geblieben. Ganze 7 (in Worten: sieben) Mitarbeiter arbeiten in diesem
"Zentrum".
Fazit:
Das Abgeordnetenhaus hat seine Beschluesse in blindem Vertrauen auf
Anette Fugmann-Heesing und Klaus Boeger gefaellt.
Es ist bewusst getaeuscht worden.
Anette Fugmann-Heesing wusste, was sie vereinbarte. Sie musste erkennen,
dass sie ein fuer die Stadt verantwortungslos schlechtes Geschaeft abschloss.
Sie wusste, dass es viel besser waere, einen Kredit aufzunehmen und damit
den Schaden fuer das Land Berlin auf ein Minimum zu reduzieren.
Es ging nicht um Haushaltskonsolidierung. Es ging nicht um "Ueberbrueckung
einer Durstphase bis zur Konsolidierung" des Haushalts.
Es ging ausschliesslich um Privatisierung um jeden Preis. Die SPD bezahlt
dies mit dem Verlust der Glaubwuerdigkeit.
Berlin, den 20.10.2003
Gerlinde Schermer - Dr. Constanze Kube - H.-G. Lorenz