Steve Clarris
2004-11-18 16:28:43 UTC
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,328199,00.html
TOTALÜBERWACHUNG DES ZAHLUNGSVERKEHRS
Der geräuschlose Tod des Bankgeheimnisses
Von Thomas Hillenbrand
Am 1. April 2005 löst sich das Bankgeheimnis in Luft auf. Mit einem
weitreichenden Gesetz hat Finanzminister Hans Eichel dafür gesorgt, dass
Fiskus, Sozialbehörden und Arbeitsämter die finanziellen Verhältnisse
jedes Bürgers ausschnüffeln dürfen - ohne Anfangsverdacht, ohne
richterliche Erlaubnis und ohne dass die Betroffenen je davon erfahren.
Hamburg - Für Hans Eichel war im vergangenen Jahr schon am 19. Dezember
Weihnachten. Kurz vor Heiligabend hatte der Bundestag noch hastig das
Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit durchgewunken und dem
SPD-Politiker die wohl schönste Gabe beschert, die sich ein klammer
Finanzminister wünschen kann: Den vollständigen und schrankenlosen
Zugriff auf Konto- und Depotinformationen aller deutschen Steuerzahler.
Mit dem beispiellosen Gesetz, das in wenigen Monaten in Kraft tritt,
will die rot-grüne Bundesregierung der Steuerhinterziehung endgültig den
Garaus machen. Dazu hebelt die Regierung das ohnehin bereits arg
durchlöcherte deutsche Bankgeheimnis vollständig aus. Dass bei der
Holzhammer-Aktion der Datenschutz und die rechtsstaatliche
Verhältnismäßigkeit unter die Räder kommen, nimmt Berlin in Kauf.
Ab April 2005 erhalten die Finanzämter Zugriff auf die Kontodaten aller
Bürger. Bei der Frankfurter Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) können sie dann jederzeit
abfragen, wer wo Geld liegen hat. Der Abruf offenbart, welche Konten,
Wertpapierdepots, Ander- oder Treuhandkonten sowie
Verfügungsberechtigungen ein Steuerzahler unterhält. Im Fachjargon wird
diese Kontenübersicht als Stammdatensatz bezeichnet.
Das von Eichels Juristen konzipierte Verfahren hätte sich George Orwell
kaum besser ausdenken können: Einen konkreten Verdacht oder eine
Begründung braucht der Fiskus nicht vorzuweisen. Der Bespitzelte muss zu
keinem Zeitpunkt über die Schnüffelaktion informiert werden. Auch die
Bank erfährt nichts. Denn alle Institute werden online vom der BaFin
angezapft, die in einem Datenpool namens Konten-Evidenz-Zentrale (KEZ)
tagesaktuell alle deutschen Kontodaten bereithält.
Beschwerde in Karlsruhe
Das ist ungefähr so, als wenn die Polizei einen Zweitschlüssel zu
sämtlichen Wohnungen erhielte - mit der Begründung, jedermann sei
mutmaßlich Besitzer von Diebesgut, illegalen Drogen oder Raubkopien.
Nirgendwo im westlichen Europa hat der Staat vergleichbare Kompetenzen.
Eichels System, schimpft denn auch ein Banker "ist das, was Stasi-Chef
Mielke gerne gehabt hätte, sich aber nicht leisten konnte". Der
renommierte Steuerrechtsprofessor und Anwalt Gunter Widmaier hält den
Schnüffelparagraphen für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar: "Das macht
den unbescholtenen Bürger kaputt." Der Jurist hat im Auftrag der im
Kreis Borken ansässigen Volksbank Raesfeld zwei Verfassungsbeschwerden
eingelegt.
Das Verdikt des höchsten deutschen Gerichts erwartet Widmaier Anfang
2005. Das Finanzministerium glaubt indes an die Verfassungsmäßigkeit
seines Gesetzes. Schließlich sei der Entwurf von "Hunderten Juristen
geprüft" worden, so ein Sprecher. Der damalige
Bundesdatenschutzbeauftragte habe die Regelung zudem ausdrücklich begrüßt.
Auch der Norddeutsche Genossenschaftsverband macht gegen den
Online-Zugriff mobil. Ein Gutachten, das die Vertretung der
Genossenschafts- und Raiffeisenbanken bei dem Hamburger
Rechtswissenschaftler Erich Samson in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem
Schluss, dass die Regelung aus "vielfältigen Gründen als eindeutig
verfassungswidrig anzusehen" ist. Dass der Bankkunde zu keinem Zeitpunkt
von der Ausspäh-Aktion erfahre, verstoße gegen das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung. Die von Karlsruhe etwa im Rahmen eines
Urteils zur Volkszählung von 1983 aufgestellten Anforderungen für eine
Datenerhebung derartigen Umfangs würden "nicht im Ansatz erfüllt".
Damals hatte das Gericht entschieden, dass der Staat nicht
unverhältnismäßig viele Daten über seine Bürger sammeln darf.
Während der Fiskus ab April eine Liste der Konten (Stammdatensatz) jedes
Bürgers anfordern kann, bleibt den Steuerbeamten der schrankenlose
Zugriff auf einzelne Kontenbewegungen laut Gesetzestext weiter verwehrt.
Um die einsehen zu dürfen, muss ein konkreter Verdacht vorliegen.
Kathrin Berberich, Justiziarin des Norddeutschen
Genossenschaftsverbandes, rechnet jedoch damit, dass auch diese
weiterführenden Informationen nunmehr leicht einsehbar sind. "Die
Beamten brauchen einen Verdacht, aber den können sie sich fortan ganz
einfach stricken", so Berberich. Der Fiskus müsse nur ein Konto finden,
dass nicht in der Steuererklärung auftaucht - das des Kegelclubs zum
Beispiel. Schon läge ein Grund vor, alle Kontotransaktionen zu
durchleuchten. "Bei solch laxen Anforderungen", schimpft Berberich,
"können wir die Daten auch gleich auf die Straße legen".
Schweigen am Main
Anders als die kleineren Institute halten sich Großbanken wie Deutsche
Bank Chart zeigen oder Commerzbank Chart zeigen mit Kritik an der
Aushöhlung des Bankgeheimnisses auffällig zurück. Denn vordergründig
dient das Gesetz schließlich dem Kampf gegen Geldwäscher und Terroristen
- nur ungern möchten die Banker den Eindruck erwecken, dass sie bei
diesem hehren Ziel mauern. Doch in Wirklichkeit hat Eichels Rundumschlag
nichts mit der Jagd auf große Fische zu tun. Steuerfahnder und
Bundeskriminalamt können bereits seit 2002 auf die KEZ-Datenbank
zugreifen, wenn sie eine schwere Straftat vermuten.
Das Steuerehrlichkeitsgesetz eröffnet diese Möglichkeit nun dem
Finanzamt sowie einer Reihe weiterer Behörden, die in der einen oder
anderen Weise mit Einkommenssteuer und Lohnzettel zu tun haben. Auch
Arbeitsämter, Sozialbehörden, Familienkasse und BaföG-Amt können den
Zugriff jederzeit nutzen - auch sie müssen keine Begründung anführen
oder die Betroffenen informieren. Jurist Widmaier geht davon aus, dass
sich die Ämter ihrer neuen Befugnisse vor allem bei der Durchführung des
Hartz-IV-Gesetzes bedienen werden. Empfänger des Arbeitslosengelds II
könnten so heimlich überprüft werden, ebenso wie deren Lebenspartner
oder Verwandte. Das Gesetz, so Widmaier, "trifft nicht die Reichen,
sondern vor allem die kleinen Leute".
Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass Eichels Novelle
handwerklich unsauber formuliert ist - viele Fragen bleiben offen.
Unklar ist beispielsweise, wie sich das Gesetz auf Geheimnisträger wie
Notare auswirken wird. Letztere unterhalten für ihre Mandanten häufig so
genannte Treuhand - oder Anderkonten. Diese werden von den Juristen
verwaltet, wirtschaftlich berechtigt ist aber der Mandant. Über die
Existenz solcher Konten muss der Notar Stillschweigen bewahren,
ansonsten macht er sich strafbar. Diese Vertraulichkeit ist demnächst
nicht mehr gewährleistet: Über die KEZ-Abfrage lässt sich problemlos
herausfinden, wer bei wem Treuhandkonten unterhält. Der Vertrauensberuf
Notar und auch andere Professionen werden ganz nebenbei schwer beschädigt.
Und das alles gratis
Was Finanzminister Hans Eichel ebenfalls freuen dürfte: Die lückenlose
Überwachung aller 500 Millionen Konten und Depots kostet den Staat
praktisch nichts. Die Kosten für die Online-Schnittstellen zur
KEZ-Datenbank müssen die Banken selbst tragen. Und das für die
Informationsvergabe zuständige Bundesamt für
Finanzdienstleistungsaufsicht wird ebenfalls zu hundert Prozent von den
Kreditinstituten finanziert. "Der Bankkunde", so Berbereich, "zahlt
seine Überwachung letztlich selbst."
TOTALÜBERWACHUNG DES ZAHLUNGSVERKEHRS
Der geräuschlose Tod des Bankgeheimnisses
Von Thomas Hillenbrand
Am 1. April 2005 löst sich das Bankgeheimnis in Luft auf. Mit einem
weitreichenden Gesetz hat Finanzminister Hans Eichel dafür gesorgt, dass
Fiskus, Sozialbehörden und Arbeitsämter die finanziellen Verhältnisse
jedes Bürgers ausschnüffeln dürfen - ohne Anfangsverdacht, ohne
richterliche Erlaubnis und ohne dass die Betroffenen je davon erfahren.
Hamburg - Für Hans Eichel war im vergangenen Jahr schon am 19. Dezember
Weihnachten. Kurz vor Heiligabend hatte der Bundestag noch hastig das
Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit durchgewunken und dem
SPD-Politiker die wohl schönste Gabe beschert, die sich ein klammer
Finanzminister wünschen kann: Den vollständigen und schrankenlosen
Zugriff auf Konto- und Depotinformationen aller deutschen Steuerzahler.
Mit dem beispiellosen Gesetz, das in wenigen Monaten in Kraft tritt,
will die rot-grüne Bundesregierung der Steuerhinterziehung endgültig den
Garaus machen. Dazu hebelt die Regierung das ohnehin bereits arg
durchlöcherte deutsche Bankgeheimnis vollständig aus. Dass bei der
Holzhammer-Aktion der Datenschutz und die rechtsstaatliche
Verhältnismäßigkeit unter die Räder kommen, nimmt Berlin in Kauf.
Ab April 2005 erhalten die Finanzämter Zugriff auf die Kontodaten aller
Bürger. Bei der Frankfurter Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) können sie dann jederzeit
abfragen, wer wo Geld liegen hat. Der Abruf offenbart, welche Konten,
Wertpapierdepots, Ander- oder Treuhandkonten sowie
Verfügungsberechtigungen ein Steuerzahler unterhält. Im Fachjargon wird
diese Kontenübersicht als Stammdatensatz bezeichnet.
Das von Eichels Juristen konzipierte Verfahren hätte sich George Orwell
kaum besser ausdenken können: Einen konkreten Verdacht oder eine
Begründung braucht der Fiskus nicht vorzuweisen. Der Bespitzelte muss zu
keinem Zeitpunkt über die Schnüffelaktion informiert werden. Auch die
Bank erfährt nichts. Denn alle Institute werden online vom der BaFin
angezapft, die in einem Datenpool namens Konten-Evidenz-Zentrale (KEZ)
tagesaktuell alle deutschen Kontodaten bereithält.
Beschwerde in Karlsruhe
Das ist ungefähr so, als wenn die Polizei einen Zweitschlüssel zu
sämtlichen Wohnungen erhielte - mit der Begründung, jedermann sei
mutmaßlich Besitzer von Diebesgut, illegalen Drogen oder Raubkopien.
Nirgendwo im westlichen Europa hat der Staat vergleichbare Kompetenzen.
Eichels System, schimpft denn auch ein Banker "ist das, was Stasi-Chef
Mielke gerne gehabt hätte, sich aber nicht leisten konnte". Der
renommierte Steuerrechtsprofessor und Anwalt Gunter Widmaier hält den
Schnüffelparagraphen für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar: "Das macht
den unbescholtenen Bürger kaputt." Der Jurist hat im Auftrag der im
Kreis Borken ansässigen Volksbank Raesfeld zwei Verfassungsbeschwerden
eingelegt.
Das Verdikt des höchsten deutschen Gerichts erwartet Widmaier Anfang
2005. Das Finanzministerium glaubt indes an die Verfassungsmäßigkeit
seines Gesetzes. Schließlich sei der Entwurf von "Hunderten Juristen
geprüft" worden, so ein Sprecher. Der damalige
Bundesdatenschutzbeauftragte habe die Regelung zudem ausdrücklich begrüßt.
Auch der Norddeutsche Genossenschaftsverband macht gegen den
Online-Zugriff mobil. Ein Gutachten, das die Vertretung der
Genossenschafts- und Raiffeisenbanken bei dem Hamburger
Rechtswissenschaftler Erich Samson in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem
Schluss, dass die Regelung aus "vielfältigen Gründen als eindeutig
verfassungswidrig anzusehen" ist. Dass der Bankkunde zu keinem Zeitpunkt
von der Ausspäh-Aktion erfahre, verstoße gegen das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung. Die von Karlsruhe etwa im Rahmen eines
Urteils zur Volkszählung von 1983 aufgestellten Anforderungen für eine
Datenerhebung derartigen Umfangs würden "nicht im Ansatz erfüllt".
Damals hatte das Gericht entschieden, dass der Staat nicht
unverhältnismäßig viele Daten über seine Bürger sammeln darf.
Während der Fiskus ab April eine Liste der Konten (Stammdatensatz) jedes
Bürgers anfordern kann, bleibt den Steuerbeamten der schrankenlose
Zugriff auf einzelne Kontenbewegungen laut Gesetzestext weiter verwehrt.
Um die einsehen zu dürfen, muss ein konkreter Verdacht vorliegen.
Kathrin Berberich, Justiziarin des Norddeutschen
Genossenschaftsverbandes, rechnet jedoch damit, dass auch diese
weiterführenden Informationen nunmehr leicht einsehbar sind. "Die
Beamten brauchen einen Verdacht, aber den können sie sich fortan ganz
einfach stricken", so Berberich. Der Fiskus müsse nur ein Konto finden,
dass nicht in der Steuererklärung auftaucht - das des Kegelclubs zum
Beispiel. Schon läge ein Grund vor, alle Kontotransaktionen zu
durchleuchten. "Bei solch laxen Anforderungen", schimpft Berberich,
"können wir die Daten auch gleich auf die Straße legen".
Schweigen am Main
Anders als die kleineren Institute halten sich Großbanken wie Deutsche
Bank Chart zeigen oder Commerzbank Chart zeigen mit Kritik an der
Aushöhlung des Bankgeheimnisses auffällig zurück. Denn vordergründig
dient das Gesetz schließlich dem Kampf gegen Geldwäscher und Terroristen
- nur ungern möchten die Banker den Eindruck erwecken, dass sie bei
diesem hehren Ziel mauern. Doch in Wirklichkeit hat Eichels Rundumschlag
nichts mit der Jagd auf große Fische zu tun. Steuerfahnder und
Bundeskriminalamt können bereits seit 2002 auf die KEZ-Datenbank
zugreifen, wenn sie eine schwere Straftat vermuten.
Das Steuerehrlichkeitsgesetz eröffnet diese Möglichkeit nun dem
Finanzamt sowie einer Reihe weiterer Behörden, die in der einen oder
anderen Weise mit Einkommenssteuer und Lohnzettel zu tun haben. Auch
Arbeitsämter, Sozialbehörden, Familienkasse und BaföG-Amt können den
Zugriff jederzeit nutzen - auch sie müssen keine Begründung anführen
oder die Betroffenen informieren. Jurist Widmaier geht davon aus, dass
sich die Ämter ihrer neuen Befugnisse vor allem bei der Durchführung des
Hartz-IV-Gesetzes bedienen werden. Empfänger des Arbeitslosengelds II
könnten so heimlich überprüft werden, ebenso wie deren Lebenspartner
oder Verwandte. Das Gesetz, so Widmaier, "trifft nicht die Reichen,
sondern vor allem die kleinen Leute".
Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass Eichels Novelle
handwerklich unsauber formuliert ist - viele Fragen bleiben offen.
Unklar ist beispielsweise, wie sich das Gesetz auf Geheimnisträger wie
Notare auswirken wird. Letztere unterhalten für ihre Mandanten häufig so
genannte Treuhand - oder Anderkonten. Diese werden von den Juristen
verwaltet, wirtschaftlich berechtigt ist aber der Mandant. Über die
Existenz solcher Konten muss der Notar Stillschweigen bewahren,
ansonsten macht er sich strafbar. Diese Vertraulichkeit ist demnächst
nicht mehr gewährleistet: Über die KEZ-Abfrage lässt sich problemlos
herausfinden, wer bei wem Treuhandkonten unterhält. Der Vertrauensberuf
Notar und auch andere Professionen werden ganz nebenbei schwer beschädigt.
Und das alles gratis
Was Finanzminister Hans Eichel ebenfalls freuen dürfte: Die lückenlose
Überwachung aller 500 Millionen Konten und Depots kostet den Staat
praktisch nichts. Die Kosten für die Online-Schnittstellen zur
KEZ-Datenbank müssen die Banken selbst tragen. Und das für die
Informationsvergabe zuständige Bundesamt für
Finanzdienstleistungsaufsicht wird ebenfalls zu hundert Prozent von den
Kreditinstituten finanziert. "Der Bankkunde", so Berbereich, "zahlt
seine Überwachung letztlich selbst."